Innsbruck Informiert
Jg.2022
/ Nr.1
- S.30
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Stadtgeschichte
„Stille Örtchen“
in der lauten Stadt
Der Bereich
des heutigen
Sparkassendurchganges mit
dem ehemaligen
Abort-Häuschen,
1955.
Von Michael Svehla
© SAMMLUNG M. SVEHLA (2)
Die Haltestelle
„Innbrücke“ der Straßenbahnlinie 4 mit
der links befindlichen
öffentlichen Toilette
(in achteckiger Ausführung)
H
eutzutage stellt dies – zumindest
in der Innenstadt – kein Problem
mehr dar, gewähren doch Kaufhaus Tyrol, RathausGalerien, Hauptbahnhof und Sillpark einen raschen Besuch
zwecks Erleichterung. Aber wie war das
vor der Zeit der großen Kaufhäuser? Vor
rund 100 Jahren hatte man in Innsbruck
dafür bereits eine Lösung gefunden, die
sogenannten öffentlichen Bedürfnisanstalten. Diese waren jedoch anders als
heute gut sichtbar für alle im öffentlichen Raum aufgestellt: entweder in Form
von achteckigen metallischen Zylindern
für die Nutzung als Pissoir oder als kleine gemauerte rechteckige Häuschen für
Damen und Herren. Allenthalben gab es
eine sogenannte „Wartefrau“ als Aufsicht,
der man einen kleinen Obolus als Eintritt
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INNSBRUCK INFORMIERT
zu bezahlen hatte. In Innsbruck sind alle
diese Häuschen verschwunden und eine
„Wartefrau“ gibt es höchstens nur noch
in den Autobahnraststätten, aber das
Eintrittsgeld ist in den meisten Fällen geblieben.
Die ersten Aufregungen
Der Berliner Wilhelm Beetz hatte in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in
seiner Heimatstadt begonnen, öffentliche Toiletten zu bauen und durfte diese
neuartige Idee ab 1880 auch in Wien umsetzen. Von dort kam dann diese praktische Einrichtung auch nach Innsbruck,
und wahrscheinlich war jene Bedürfnisanstalt an der südlichen Auffahrt der
Innbrücke Anfang der 1890er-Jahre die
erste, welche in der Landeshauptstadt
erbaut wurde. Nach und nach wurden
weitere zumeist achteckige Bauten errichtet, so beispielsweise 1908 am Oberrauchplatz, an der Ecke Kapuzinergasse
– Ing.-Etzel-Straße und im Viaduktbogen
Nr. 1 oder 1909 am heutigen Sparkassendurchgang, in der englischen Anlage des
Hofgartens und im Pechegarten. Mit den
bestehenden Anlagen am Landestheater,
in der Kiebachgasse und am Adolf-Pichler-Platz zählte man bereits insgesamt
zehn Stück. Dennoch beklagte man sich
fünf Jahre später im Gemeinderat noch
immer über einen sehr fühlbaren Mangel
und man läge gegenüber anderen Städten weit zurück. Im städtischen Bauprogramm für 1929 wurde schließlich die
Errichtung einer unterirdischen Bedürfnisanstalt am Bozner Platz vorgesehen,
welche bekanntlich bis vor einigen Jahren noch immer zugänglich war. Ein weiterer, viel bedeutenderer Mangel lag in
der Nichtberücksichtigung der Frauen: Es
gab nämlich nur eine einzige Einrichtung
im gesamten Stadtgebiet, nämlich an der
Innbrücke. Diese eklatante Benachteiligung veranlasste 1908 sogar eine ältere
Dame aus Deutschland zu einem Leserbrief an die Innsbrucker Nachrichten.
Hygienemängel und Unterkunft
Dass die öffentlichen Toiletten hygienemäßig schon immer ein wenig einladender Ort waren, zeigt eine Meldung
im Tiroler Anzeiger vom 4. Mai 1929: „Es
ist höchst sanitätswidrig, wie dort die
Wände, Türen, Kleiderrechen, Fußboden
oder gar das Sitzbrett aussehen. Die sogenannte Wartefrau reicht dem Besucher
4 Blatt bedrucktes Zeitungspapier statt
Klosettpapier, hebt aber dafür die vorgeschriebene Gebühr ein! … keine Waschgelegenheit, keine Seife, kein Handtuch
vorhanden.“ Eine ganz andere Zeitungsmeldung macht jedoch auch heute noch
sehr nachdenklich: Die Abortfrau der Bedürfnisanstalt im Sparkassendurchgang
wohnte schon seit über sechs Monaten
dort, wie der Tiroler Anzeiger vom 31.
Jänner 1928 zu berichten wusste. Weil
sie keine städtische Unterkunft erhalten
hatte, musste sie im Vorraum zwischen
Herren- und Damenklosett auf knapp
zwei Quadratmeter einziehen. Die wortgetreue Schilderung spricht für sich:
„Rechts in der Ecke steht ein Eisenöfchen,
dann kommt die schon erwähnte Tür; im
Winkel steht ein kleines Tischchen, visà-vis ein ehemaliger Lehnstuhl. Daneben
ein Sessel, damit ist der Raum erschöpft.
Eine Kiste steht noch da, da hat sie ihre
Sachen drin.“ Die arme Frau schlief im
Sessel und litt besonders unter der Kälte,
weil sie nur eine einzige Wolldecke hatte.
© STADTARCHIV/STADTMUSEUM
Jede und jeder von uns hat das sicherlich schon einmal erlebt:
Man ist in der Stadt unterwegs und verspürt plötzlich den Drang,
eine Toilette aufsuchen zu müssen. Aber wohin?
Bombentreffer und Abbrüche
Die Bedürfnisanstalt am Sparkassendurchgang ist vielen älteren Innsbruckerinnen und Innsbruckern noch in
deutlicher Erinnerung, wurde sie nach
Bombenschäden doch erst um 1952/53
abgetragen, als der Durchgang erweitert
werden sollte. Später ist sie in das an die
Sparkasse angrenzende Geschäftshaus
übersiedelt. Am längsten gehalten haben
sich von jenen Einrichtungen die beiden
Anlagen neben dem Landestheater (1966
neu errichtet) und am Bozner Platz, die
aber selbst schon seit etlichen Jahren gesperrt sind.
Das städtische Angebot
Heute informieren verschiedene Apps am
Smartphone. Seit April 2017 kann man
zwischen 17 „Stillen Örtchen“ im Stadtgebiet wählen, wobei es auffällt, dass
sich diese hauptsächlich im Innenstadtbereich und an den Promenadenwegen
entlang des Inns befinden.
Nur das Eisengeländer erinnert
daran, dass es
einmal eine
unterirdische
Bedürfnisanstalt
am Bozner Platz
gegeben hat.
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