Innsbruck Informiert

Jg.2022

/ Nr.9

- S.22

Suchen und Blättern in knapp 900 Ausgaben und 25.000 Seiten.





vorhergehende ||| nächste Seite im Heft

Zur letzten Suche
Diese Ausgabe – 2022_Innsbruck_informiert_09
Ausgaben dieses Jahres – 2022
Jahresauswahl aller Ausgaben

Dieses Bild anzeigen/herunterladen
Gesamter Text dieser Seite:
Stadtgeschichte

© SCHEUCHENSTUEL-STIFTUNG (2)

Ansicht des
Scheuchenstuel’schen
Areals von Osten aus. Im
Vordergrund ist neben
den Straßenbahnlinien
der unverbaute Teil zur
Bruneckerstraße zu sehen.

Eine Innsbruckerin,
die man kennen sollte
Immer wieder begegnet man in Innsbruck noch heute dem Namen
Scheuchenstuel – so etwa in der Höttinger Au oder in der Museumstraße.
Doch wer war die namensgebende Josefine von Scheuchenstuel eigentlich?
von Hanna Fritz (Stadtarchiv Innsbruck) und Peter Schumacher (Obmann-Stellvertreter der Scheuchenstuel-Stiftung)

A

ls Josefa Franziska Stabile von Sailenberg wurde Josefine in Görz
(heute Gorizia/Venetien) 1811 geboren. Sie besuchte die Volksschule, was
damals für Mädchen noch eine Ausnahme darstellte. Der Lebensweg für Mädchen
war damals durch gesellschaftliche Vorga-

ben geregelt: Sie wurden zu Hausfrauen
und Müttern, standen oft im Schatten ihrer
Ehemänner und wirkten vor allem zu Hause. Eine gute Bildung rückte dabei in den
Hintergrund.
Eine ähnliche Laufbahn sollte auch
Josefine beschieden sein. Im Jahr 1834 hei-

ratete sie Anton von Scheuchenstuel, ein
Jahr später kam Tochter Antonia zur Welt.
Die Familie folgte den beruflichen Stationen Antons, der im Jahr 1845 erstmals
nach Innsbruck berufen wurde. Nach einem Aufenthalt in Trient kehrte die Familie 1855 wiederum nach Innsbruck zurück.
Während Anton als Ehrenbürger der Stadt
Innsbruck und Präsident des Landgerichts
zu Ruhm und Ehre gelangte, wurde von Josefine den gesellschaftlichen Rollenbildern
entsprechend erwartet, eine repräsentative Beamtengattin abzugeben.

Von der Gründung des ersten
Waisenhauses zum Bau
des Mädchenheims
Doch Josefine wurde auch selbst für die
Gesellschaft tätig. Vermutlich war die Tatsache, dass sie zumindest eine elementare Ausbildung erhalten hatte, ausschlagge42

INNSBRUCK INFORMIERT

Porträt der
Josefine von
Scheuchenstuel

bend, sich in ihrem späteren Lebenswerk
der Förderung von Kindern, insbesondere
Mädchen, zu widmen. Sie kaufte ein Gebäude des Jesuitenkonvikts in der Museumstraße und eröffnete dort – trotz öffentlicher
Kritik – 1869 ein „Mädchen-, Waisen- und
Erziehungshaus“. Im Jahr 1875 folgte die
Gründung der Scheuchenstuel’schen Stiftung. Diese wurde vor allem durch Spenden
von WohltäterInnen finanziert. Nach dem
Tod Josefines im Jahr 1887 übernahm deren Tochter Antonia die Leitung. Die Scheuchenstuelgasse wurde 1962 übrigens nur
nach den beiden Frauen, nicht nach Josefines Ehemann Anton benannt.
Der Erste Weltkrieg ließ die Zahl der verwaisten Kinder stark ansteigen. So waren
im Jahr 1918 rund 160 Waisenkinder im
Heim untergebracht, obwohl die Aufnahmegrenze bei 120 lag. Die folgenden Jahrzehnte waren immer wieder von finanziellen Schwierigkeiten geprägt, 1939 folgte
schließlich die Auflösung der Stiftung und
die Übertragung des Vermögens an die NSWohlfahrt und die Stadtgemeinde. Restitution und Wiederaufbau erfolgten ab dem
Jahr 1949. Das ehemalige Waisenhaus wurde dem damaligen Caritas-Direktor Josef
Steinkelderer übergeben, der das Gebäude
restaurierte, ein Mädchenheim einrichtete
und bis 1978 dort auch die Caritas-Zentrale betrieb. Vielen InnsbruckerInnen ist das
Gebäude daher heute noch auch als „Caritas-Heim“ geläufig. Im Jahr 1979 erfolgte
schließlich der Neubau des Gebäudes.

Die Scheuchenstuelstiftung heute
Seit 1980 betreibt die ScheuchenstuelStiftung ein Mädcheninternat in der Innsbrucker Museumstraße und seit 1994 die
Kinderbetreuungseinrichtung Kravogl in
der Kravoglstraße in der Reichenau.
Das Mädchenheim bietet 81 Schülerinnen zwischen 14 und 19 Jahren während
ihrer Schulzeit ein Zuhause. Die Mädchen

kommen aus verschiedenen Regionen Tirols und Vorarlbergs und absolvieren eine
schulische Ausbildung, die es in ihrem
Heimatort oder ihrer näheren Umgebung
nicht gibt.
Lernbetreuung, Unterstützung bei persönlichen Herausforderungen und der Einsatz
für ein gutes Leben in der Gemeinschaft
sind Arbeitsauftrag der MitarbeiterInnen
im Internatsalltag. Bei ihrer Entwicklung
vom Mädchen zur erwachsenen Frau werden die Schülerinnen unterstützt, sich aktiv, mutig und kreativ für Gleichheit, Toleranz und Humanität einzusetzen.
Die Kinderbetreuungseinrichtung Kindervilla Kravogl bietet 40 Kindern zwischen einem und zehn Jahren Platz in der Kinderkrippe, im Kindergarten und im Hort. Hier
erfahren sie liebevolle Betreuung und Begleitung und werden als eigenständige
Persönlichkeiten mit Stärken und Schwächen respektiert. Das Bildungsprogramm
wird auf die individuellen Bedürfnisse und
den jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder abgestimmt. Durch das Angebot einer
hochwertigen Kinderbetreuung wird für Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.
Die beiden Betriebe werden pädagogisch,
wirtschaftlich und organisatorisch durch eigenständige Leiterinnen geführt. Ein sechsköpfiger Vorstand unter der Leitung des
jeweiligen Dompropstes von St. Jakob verwaltet und verantwortet die Verwendung
des Stiftungsvermögens im Geiste der Stifterin Josefine von Scheuchenstuel.

Literaturhinweis: Thomas Schwaiger, Die Geschichte der Scheuchenstuel’schen Stiftung.
Josefine von Scheuchenstuel und ihre Stiftung.
Von der Gründung des Waisenhauses (1869)
bis zum Abbruch des Mädchenheimgebäudes
(1979). Innsbruck 2013.

NEUE KOLLEKTION

Hallerstrasse 125a | 6020 Innsbruck
Tel. +43 (0) 512 214 240
boconcept.at

INNSBRUCK INFORMIERT

43