Innsbruck Informiert
Jg.2023
/ Nr.11
- S.20
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Gesamter Text dieser Seite:
Lebensraum Innsbruck
„Gewalt ist an
sich ein Unrecht“
Innsbruck informiert traf sich mit Dr.in Julia Ganterer von der
interdisziplinären und interuniversitären Forschungsgruppe
„Interpersonelle Gewalt und Geschlecht“ an der Universität
Innsbruck zum Thema Gewalt gegen Frauen.
Gewalt in Institutionen, sexualisierte
Gewalt, Gewalt gegen Frauen ist seit einiger Zeit als Thema medial zunehmend
präsent. Man bekommt den Eindruck,
dass es sich dabei um ein wachsendes
Problem handelt – wie sehen Sie das als
zu diesem Bereich Forschende?
DR.IN JULIA GANTERER: Fakt ist: Gewalt ist
keine Einzel-, keine Randerscheinung, sondern tägliche Realität. Frauen sind überdurchschnittlich häufig von sexualisierter
Gewalt betroffen, aber es betrifft nicht nur
Frauen und Mädchen. Es trifft sie in ihrem
persönlichen Umfeld, in der Familie, am
Schulhof, am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis. Und das Thema ist nicht neu. Wir haben mittlerweile Daten, dass die Pandemie
im Bereich häuslicher Gewalt verschärfend
gewirkt hat. Aber die Gewalt und Gewaltbe20
INNSBRUCK INFORMIERT
reitschaft war schon vorher vorhanden. Sexualisierte Gewalt – und das ist mir wichtig
zu betonen – ist kein persönliches, kein privates, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das bestehende Ungleichheiten und paternalistische Machtverhältnisse reflektiert.
Wir sind also alle gefragt? Was können
wir konkret tun?
Erstens von Gewalt Betroffenen zuhören, sie unterstützen, mit ihnen reden,
sie nicht marginalisieren, sie bestärken
und ihnen eine Stimme geben. Zweitens
das eigene Verhalten, die eigene Sprache
hinterfragen, im persönlichen Umgang,
aber auch digital. Drittens Gewalt an sich
besser verstehen lernen. Dazu müssen
wir personalisierte Gewalt zum Thema
machen. Miteinander darüber reden und
lernen, Gewalt in all ihren Formen als solche zu erkennen. Nur so können wir ein
Umdenken erreichen und lernen, gewaltfrei miteinander umzugehen. Und viertens unter Einbeziehung Betroffener, ExpertInnen, PraktikerInnen und Politik an
einen Tisch bringen und Voraussetzungen
für mehr Gleichheit und weniger Gewalt
schaffen.
Das heißt also Wissen sammeln, Wissen
weitergeben und Wissen anwenden?
Ja, und das beginnt schon im ganz jungen Alter, auch dafür müssen wir sensibi-
lisieren. Wir müssen nicht nur Menschen
schulen, die beruflich mit Gewaltprävention und Intervention befasst sind, sondern
auch pädagogisches Personal und Eltern.
Wir alle müssen lernen, Gewalt zu erkennen und darüber zu sprechen, Grenzen zu
ziehen und Grenzüberschreitungen (auch
eigene) im Vorfeld zu verhindern. Das inkludiert die Arbeit mit Tätern und Täterinnen.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Iris Ullmann.
© RAETIA
D
ie Forschungsgruppe wurde 2019 auf
Initiative von Dr.in Heidi Siller (damals
an der Medizinischen Universität
Innsbruck) als Forschungs-Netzwerk an der
Universität Innsbruck gegründet, mit dem
Ziel, durch regelmäßigen Austausch Forschung in diesem Bereich zu fördern, den
Blick auf das Thema durch unterschiedliche Forschungsperspektiven der verschiedenen Disziplinen zu weiten und auch für
das Thema über die Universitäten hinaus
zu sensibilisieren. Seit 2020 gibt es jährliche Workshops, in die auch Studierende
miteingebunden werden.
In ihrem Buch „Ja, das bin ich und das ist meine
Geschichte“ lässt Julia Ganterer von Gewalt
Betroffene selbst zu Wort kommen.