Innsbruck Informiert

Jg.2023

/ Nr.3

- S.22

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Diese Ausgabe – 2023_Innsbruck_informiert_03
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Stadtgeschichte

Hilfreiche Hände – weibliche
Solidarität für Deserteure
Während des Zweiten Weltkrieges desertierten 130 Innsbrucker aus der
Deutschen Wehrmacht. Hinzu kamen weitere etwa 100 Soldaten, die in der
Stadt Hilfe suchten. Manche fanden sie bei Frauen, die hohe Risiken eingingen.

samte „deutsche Volksgemeinschaft“. Reden oder Handeln gegen die Kampfbereitschaft war ebenfalls mit Zuchthaus- und
in schweren Fällen mit der Todesstrafe bedroht. So sollten vor allem Frauen abgeschreckt werden, Ehemännern, Brüdern,
Söhnen, Liebhabern und Bekannten beim
Desertieren zu helfen.
Mit der Suche nach Deserteuren waren neben der Wehrmacht auch Gestapo, Kripo
und Gendarmerie befasst. Als Erstes suchten sie die Familien der untergetauchten
Soldaten auf. Die Angehörigen, kriegsbedingt meist Frauen, wurden ausgefragt,

© MARKUS JENEWEIN

Blick vom Hinrichtungsort Paschberg auf Innsbruck. Der
Deserteur Ernst Federspiel und mindestens 14 weitere
Soldaten wurden hier von der Wehrmacht exekutiert.

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INNSBRUCK INFORMIERT

Briefe beschlagnahmt und Wohnungen
durchsucht. Viele Deserteure vermieden
es daher, ihre Familien in die Flucht einzuweihen oder sie aufzusuchen. In abgelegenen Tälern boten Wirtschaftsgebäude, Almen und Wälder Möglichkeiten des
Versteckens und heimlichen Versorgens
durch Mütter, Ehefrauen, Schwestern und
Freundinnen. In der Stadt war der Spielraum äußerst begrenzt. Manchen blieb jedoch keine andere Möglichkeit. So war die
23-jährige Krankenpflegerin Johanna Kofler bereit, ihren aus Südtirol stammenden
Ehemann Anton in Innsbruck zu verbergen,
als er Anfang März 1945 nach einem Urlaub
an die Front sollte. In ihrer Wohnung konnten die beiden nicht bleiben, so wechselten
sie von einer Unterkunft zur nächsten. Am
19. März 1945 geriet Anton Kofler in eine
Ausweiskontrolle. Sein Fluchtversuch dauerte nur Sekunden: Nach einigen Metern
wurde er „in den Straßen von Innsbruck“
von Schüssen niedergestreckt. Johanna
Kofler nahm die Gestapo einen Tag später
fest. Sie erlebte die Befreiung im Gefängnis des Landesgerichtes Innsbruck zwar,
erholte sich von der Haft und dem Tod ihres Mannes jedoch nicht mehr. Mehrfach
war sie in psychiatrischer Behandlung. Opferfürsorge erhielt sie von der Tiroler Landesregierung keine.
Manche Deserteure versuchten sich für
die Flucht neue Identitäten zuzulegen. Dafür benötigten sie Zugriff auf Blankodokumente, Amtsstempel und Lebensmittelkarten. Die 49-jährige Franziska Schütz
arbeitete im Juli 1944 als Aufräumerin in

© TIROLER LANDESARCHIV..

A

uf Fahnenflucht stand die Todesstrafe. Das NS-Regime verlangte
von den Soldaten bedingungslosen Gehorsam und Einsatz ihres Lebens,
um das Ziel der deutschen Herrschaft über
Europa zu erreichen. „Manneszucht“ lautete das eherne Prinzip der Wehrmacht,
um die totale Aufopferungsbereitschaft
als Norm durchzusetzen. Neben Drill und
Propaganda verschärfte Hitler dafür auch
das militärische Strafrecht. Neu war unter anderem das Delikt der „Wehrkraftzersetzung“. Damit wurde die Erfüllung der
„Manneszucht“ zu einem Gebot für die ge-

© SAMMLUNG CHRISTINA MÜLLER.

von Peter Pirker

Franziska Schütz, 1944. Sie
beschaffte Ernst Federspiel
Wehrmachtssiegel zur Fälschung
von Fluchtdokumenten.

der Innkaserne. Ihre Nachbarin, die 65-jährige Hausfrau Karoline Neuner, versteckte
zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Monaten ihren Neffen, den 19-jährigen Deserteur Ernst Federspiel. Ernst Federspiel,
der bereits einen gescheiterten Fluchtversuch in die Schweiz hinter sich hatte, bat
Franziska Schütz darum, in der Innkaserne ein Dienstsiegel der Sanitätsabteilung
zu entwenden. Ihr Sohn, der im Wehrertüchtigungslager Maurach in Ausbildung
war, steuerte einen weiteren Stempel bei.
Beide Utensilien dienten Ernst Federspiel
dazu, ein Soldbuch und Urlaubsscheine
zu fälschen, die er für die folgende Flucht
nach Kärnten benutzte.
Die spektakuläre Geschichte der Desertion von Ernst Federspiel dauerte fast zwei
Jahre. Mehrfach gelang es ihm, Festnahmen und Inhaftierungen in Kärnten und
Tirol zu entkommen. Immer wurde er von
Frauen unterstützt, von seiner Mutter Elisabeth, die als Kommunistin bereits im KZ
Ravensbrück inhaftiert gewesen war und
aus einer jenischen Familie stammte, von
seiner Freundin Herta Flatscher und deren
Mutter Genovefa, von seinen Schwestern
Elisabeth Grundl und Emma Gstattner, von
Freundinnen und Bekannten. Seine Flucht

Herta Flatscher mit ihrem Freund Ernst Federspiel, 1943.

endete erst im März 1945, nachdem die
Kripo bei einer Razzia gegen Deserteure
in verschiedenen Wohnungen insgesamt
29 Personen festgenommen hatte. Unter den 23 ZivilistInnen befanden sich 15
Frauen, die Federspiel und sechs weitere
Deserteure unterstützt hatten. Bei einer
der Festnahmen in Pradl wurde der Deserteur Alois Eberharter erschossen. Ernst Federspiel verurteilte das Gericht der Division 418 in Innsbruck zum Tode. Er starb am
21. April 1945 im Kugelhagel eines Exekutionskommandos der Wehrmacht im Steinbruch am Paschberg. Die Frauen überlebten die Verfolgung, jedoch weigerten

sich Innsbrucker Gerichte nach 1945 die
Urteile der NS-Sonderjustiz aufzuheben.
Vielmehr wurden die Urteile bis in das
Jahr 1950 bestätigt. Erst fünf Jahre nach
Ende der NS-Herrschaft gab der Oberste
Gerichtshof Elisabeth Federspiel, Karoline Neuner, Franziska Schütz und Emma
Gstattner recht und hob alle Urteile der
Innsbrucker Sonder- und Nachkriegsjustiz gegen die mutigen Frauen auf. Für
die Höchstrichter war klar, dass sie „im
Kampf gegen den Nationalsozialismus
(…) und zur Unterstützung des österreichischen Freiheitskampfes“ gehandelt
hatten.

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